Prigoschin meldete sich während des Aufstandes auch immer wieder per Video zu Wort. Hier aus Rostow.
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Prigoschin meldete sich während des Aufstandes auch immer wieder per Video zu Wort. Hier aus Rostow.

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Wagner-Aufstand: Die erste Revolte per Sprachnachricht

Über Stunden hielt Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin am Wochenende Russland und die Welt in Atem. Besonders war daran auch: Die Rebellion war der wohl erste Aufstand, bei dem Sprachnachrichten eine zentrale Rolle spielten.

Am Freitag um 21:09 Uhr verkündet der Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin auf dem Messaging-Dienst Telegram, dass die russische Armee ein Lager seiner Söldnertruppe angegriffen habe. Nun wolle man Rache nehmen und "die Gerechtigkeit in Russland wiederherstellen". Jeder dürfe sich ihm bei seinem Marsch auf Moskau anschließen. Prigoschins-Voicemail ist in gewisser Weise historisch, denn es ist vermutlich das allererste Mal, dass ein Aufstand mit einer Sprachnachricht begonnen wird - eine Meuterei per App.

Direkte Kommunikation per Telegram

650.000 Abonnenten hat Prigoschin auf Telegram, und Telegram wiederum ist in Russland das wichtigste Kommunikationsmedium überhaupt. Telegram ist eigentlich ein Messenger-Dienst und in seiner Grundfunktionalität vergleichbar mit WhatsApp oder Signal. Allerdings kann man hier auch sogenannte "Kanäle" betreiben, über die man dann Informationen an alldiejenigen verbreiten kann, die den Kanal abonniert haben. In Russland ist auf diese Art ein Ökosystem beispielsweise aus einflussreichen Militärbloggern entstanden, mit denen sich kürzlich erst der russische Machthaber Wladimir Putin traf.

Prigoschins Telegram-Imperium

"Wahrscheinlich hat niemand so einen direkten Kanal zu so vielen Menschen in Russland", sagt Alex Yusupov, der das Russlandprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. Prigoschin habe durch seine diversen Medienaktivitäten, Stichwort "Petersburger Trollfabrik", eine Menge an Erfahrung im Umgang mit Telegram sammeln können. Es gibt offizielle Wagner-Kanäle, aber auch diverse Fankanäle. "Es ist ein ganzer Strauß an Medien, die Prigoschin bespielen kann", so Yusupov. Anders als etwa der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew, der ein professionelles Team beschäftigt, welche ihm seine schriftlichen Tiraden auf Telegram formuliert, kommen die Videos und Sprachnachrichten beim Wagner-Chef von Prigoschin selbst - und wirken so besonders authentisch.

Prigoschin musste keinen Fernsehsender stürmen

Audio-Kommunikation hat auch in der Vergangenheit eine Rolle gespielt und hierbei nicht immer eine gute. Über den Volksempfänger als Instrumente der NS-Propaganda wurde bereits eine Menge geschrieben. 1994 hetzen in Ruanda extremistische Hutu-Sender gegen Tutsi, gemäßigte Hutus und befeuern so den Völkermord.

Dass aber eine Revolte mit Hilfe von Online-Sprachnachrichten in Gang gebracht wird, wie nun bei dem Wagner-Aufstand, das gab es vorher noch nie. Jeder konnte sich Prigoschins Voicemails anhören, darunter viele diensthabende Polizisten und Soldaten. "Prigoschin musste keinen Fernsehsender stürmen und keine Radiostation, er musste keine Flugblätter drucken", sagt Yusupov. Der Wagner-Chef konnte das Kommunikations-Vakuum nutzen, das die Regierung geschaffen hatte, bis sich Wladimir Putin Samstagfrüh in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung wandte.

Der Aufstand endet, wie er begonnen hat – mit einer Voicemail

Der Aufstand endete am Samstagnachmittag – natürlich mit einer Sprachnachricht auf Telegram. "Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück", sagt Prigoschin in seiner Voicemail. Welche Folgen seine Revolte für Russland und für ihn selbst haben wird, das muss sich zeigen. Klar scheint aber: Die Zeiten, in denen Sprachnachrichten als bequeme, zugleich nervige aber doch irgendwie harmlose Form der Kommunikation galten, die dürften vorbei sein.

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