Engelsfigur auf einem Grab.
Bildrechte: BR/Sylvia Bentele

Christen feiern am 2. November Allerseelen und gedenken dabei ihrer verstorbenen Angehörigen.

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Allerseelen: Erinnerung als Pflege für die Seele

Am 2. November gedenken Katholiken ihrer Verstorbenen. Wie man sich erinnert, ist sehr individuell - und hat auch mit dem eigenen Leben zu tun. Manche gehen ans Grab, schwelgen in Erinnerungen. Andere lassen sich ein Tattoo stechen.

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Andenken, Bücher, Kleidungsstücke, Tonaufnahmen, Geschirr: Sie rufen Erinnerungen an Verstorbene wach. Besonders sind es aber Fotos, die in der Erinnerungskultur eine große Bedeutung haben, so die Soziologin Irmhild Saake. Ahnengalerien, Fotoalben, Passbilder: "Wir haben immer Bilder dabei von Verstorbenen", sagt Saake, die als Soziologin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München forscht.

Das Bild der Angehörigen von Verstorbenen ist immer selektiv

Heute am 2. November, an Allerseelen, gedenken Katholiken traditionell ihrer Verstorbenen. Ein Besuch am Grab - oft an Allerheiligen - gehört für viele zum festen Ritual dieser Tage. Häufig treffen sich ganze Familien am Grab oder gehen bewusst zusammen auf den Friedhof. Art und Intensität der Bindung zu einem Verstorbenen, gemeinsame Erlebnisse, ob man Kind oder Enkelkind ist: Viele Faktoren beeinflussen die Erinnerung.

Und sie bewirken, dass wir manche Menschen besser in Erinnerung behalten als andere, weiß Soziologin Irmhild Saake. Sie forscht dazu, wie sich das Bild zusammensetzt, das wir uns von den Toten machen: "Das Bild, das wir von Verstorbenen und auch von uns selbst haben, ist sehr selektiv. In unserem Leben passiert unglaublich viel und wir rücken nur einiges in den Vordergrund. Das kennen wir auch aus dem Alltag, dass wir von bestimmten Freunden und Angehörigen ein anderes Bild haben als andere."

"Die größte Leistung des Gehirns ist, zu vergessen"

Eine selektive Erinnerung sei auch nötig, meint die Soziologin, weil Menschen sonst emotional überfordert seien: zu viele Verstorbene und zu viele Themen, an die man sich erinnern muss. "Die größte Leistung des Gehirns ist, zu vergessen. Auszublenden. Wir vergessen unglaublich viel und formen dann ein Bild und insofern ist dieses Bild immer konstruiert", sagt Saake.

Dass die Erinnerung damit geschönt wird oder wir die Geschichte und die Erinnerung für uns zurechtrücken, sieht sie keinesfalls kritisch. Denn die Geschichte werde damit nicht falsch, sondern werde nur neu erzählt und habe andere Akzente und Schwerpunkte: "Man kann es andersherum als die Möglichkeit sehen, die Erinnerung dem eigenen Bedarf anzupassen", sagt die Biografie-Forscherin.

Ein Tattoo als Erinnerung

Gerade Männer lassen sich als Erinnerung gerne Tattoos stechen, weiß Traugott Roser, evangelischer Theologe und Trauerforscher - mit dem Namen und manchmal auch einem Bild der Angehörigen. Viele hätten so das Gefühl, die Angehörigen sozusagen unter der Haut mitzutragen. Roser selbst schließt seine verstorbenen Angehörigen und Freunde jeden Abend ins Gebet mit ein. Er sagt, Erinnerung sei Pflege für die Seele: "Dadurch wird etwas Wohltuendes möglich, weil man in Verbindung bleibt", sagt der Trauerforscher.

Es tue auch gut, sich den Schuldgeschichten zu stellen, solchen Erinnerungen, die belasten. Dass man über Tote nicht schlecht denken oder sprechen soll, hält der Theologe für falsch. Die Auseinandersetzung mit Verstorbenen darf alles beinhalten. Denn: "Wenn Erinnerung tabuisiert wird, verdrängt wird, dann quält sie die Seele."

Unsere Erinnerung an Tote und wie wir an sie denken, hat also auch viel mit uns selbst zu tun und mit unserem Leben. Denn wer an Allerseelen oder auch an jedem anderen Tag vor dem Grab eines geliebten Verstorbenen steht, denkt automatisch auch über sein eigenes Leben nach.

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